From: David Kastrup <dak@gnu.org>
Newsgroups: de.rec.musik.machen
Subject: Re: Recht auf musizieren und üben
Date: Thu, 21 Feb 2008 15:33:21 +0100
Message-ID: <864pc2s7ke.fsf@lola.quinscape.zz>

Steff Böckler <rursilber@arcor.de> writes:

> Florian Anwander schrieb:
>> Hallo Günter
>>
>>> Ich finde, der Muskus entscheidet,
>> Tja, wenn die Muse richtig kuessen wurde, gaebs wohl auch kein
>> Belaestigungsproblem mit den Nachbarn...
>
> Da kennst du meine Muse aber schlecht ;-)

Als ich noch wochenends in Aachen hauste, war in einem der angrenzenden Mietshäuser ein Mädchen, dessen Name mir erstaunlicherweise entfallen ist, ist er doch zu einem geflügelten Wort zwischen mir und meiner damaligen Lebensgefährtin geworden. Sagen wir Annkathrin (kann nicht allzu weit weg davon gewesen sein). Sie hat eine Zeitlang unter Tränen Klavierunterricht genossen (aus dieser Zeit war uns der häufig gerufene Name präsent). Irgendwann hat sich das dann gelegt.

Aber sie hat ab und an Nostalgieattacken bekommen und ihre letzten Übungsstücke rausgekramt. Über Jahre, maximal 3 verschiedene Stücke, und am Ende praktisch nur noch eines. Ohne Fortschritte. Ich war ja nur am Wochenende da, und dennoch lief es mir kalt den Rücken runter, wenn unversehens "Alla Turca" einsetzte. Ihr klassischer Übungsstil war es zu spielen, bis sie an einer Stelle verreckte, dann wieder von vorne anzufangen, nur schneller. Was natürlich nicht weiterhalf. Lange Zeit war der Durteil (da machten wir drei Kreuze) das, was wir am meisten fürchteten.

Doch am Ende war es im wesentlichen eine Stelle, die die Essenz des Terrors verkörperte: irgendein Vorschlag, Doppeltriller oder eine Umspielung. Ich weiß es nicht mehr im Detail, aber sie hat das Ding _immer_ im halben Tempo gespielt oder die drangehängte Hauptnote nicht entsprechend gekürzt. Über Jahre hinweg hatte dieser Takt einen Schlag zuviel und man hat diesen dämlichen Gag gehaßt und erwartet (aber nicht belacht) wie das Stolpern Freddy Frintons über den Tigerkopf bei Dinner for One. Über Jahre. Nicht nur an Silvester. Die Beziehung zerbrach.

Jetzt spiele ich Akkordeon. Ein Heftchen mit Klassikstücken enthält den Marsch "alla Turca" (warum hört man eigentlich nie den Rest der eigentlich hübschen Sonate?). Vor einer Woche habe ich mir ein sehr kleines Knopfakkordeon angeschafft, um mal zu sehen, wie sich das mit Knöpfen spielt statt Tasten. 48 Bässe, Dreireiher, C-Griff, zweichörig. Ein gar nicht mal so quäkiges Spielzeug.

Die Terzparallelen liegen gut in der Hand. Für ein Instrument, dessen Griffweise ich nicht beherrsche.

Ich habe in Bochum Nachbarn. Noch. Gestern habe ich für eine sehr nette Nachbarin ein Päckchen in Empfang genommen. Ich habe das Gefühl, daß sie sich auch schon mehr gefreut hat, mich zu sehen, als das jetzt der Fall bei der Päckchenweitergabe war.

Was mich beunruhigt, ist daß ich diesen Vorschlag/Triller, der zum Objekt des Terrors geworden ist, in den Noten nicht mehr wiedergefunden habe. Vielleicht habe ich ja einen blinden Fleck entwickelt, und Ann-Kathrins Vermächtnis breitet sich unhaltbar über die Erde aus und bringt Furcht und Schrecken in alle Häuser, in denen Takt noch angesagt ist.

--
David Kastrup