From: HaJo Hachtkemper <juli_zweitausendacht@newsgroups.02368.net>
Date: Tue, 29 Jul 2008 12:31:16 +0200
Subject: Re: Welche wiederkehrenden Schnäppchen lohnen *nicht*?
Newsgroups: de.alt.fan.aldi
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Ulf Volkert schrieb:

"Chateau Migraine" hört sich ja auch erst mal
ganz gut an, wenn man nicht weiter drüber nachdenkt ...

Aus aktuellem Anlaß also hier die Wein-FAQ:

Sie können mit verbundenen Augen den Unterschied zwischen Hefeweizen und einem 1952er Chateau Migraine erkennen? Die beiden Rebsorten "Rot" und "Weiß" sind für sie kein Geheimnis? Sie trinken Rotwein gerne zum Fisch, Hauptsache er ist schön süß?

Klasse, das langt vollkommen. Aber was passiert, wenn sie im Kreise wichtiger Freunde oder Bekannter in einem erlesenen Restaurant die Getränke bestellen "dürfen" und nicht dastehen wollen wie mit offener Hose?

Folgende Situation: Sie haben neulich bei ALDI einen billigen mazedonischen Rotwein für die Grillfete erstanden und hatten am nächsten Morgen so gut wie keine Kopfschmerzen? Glück gehabt. Aber erwähnen Sie nie im Gespräch mit Geschäftsfreunden: "Also dieser Aldi-Rotwein für 2,19, der war ja sooo lecker." Man wird sie ausstoßen, ignorieren und fürderhin keine einzige Silbe mehr mit Ihnen wechseln.
Korrekt heißt das: "Mein Importeur hat mir neulich einen rassigen Rotwein vom Balkan empfohlen. Ein einfacher Wein, aber zu Kurzgebratenem gut trinkbar."
Sie sehen also, richtig formuliert, wirkt das gleich viel weniger peinlich.

Übrigens "Weinkenner", die behaupten Rebsorte, Jahrgang, Lage, Weingut, Haarfarbe des Kellermeistes etc. am Geschmack zu erkennen lügen. Mehr als Rebsorte evtl. noch Region geht meist nicht. Nur langjährig erfahrene Triebtrinker können ihre Erfahrung einbringen und "alte Freunde" wiedererkennen.
Ebenso sind Verallgemeinerungen wie: "Frankenwein ist immer trocken" oder "Moselwein hat mehr Säure" normalerweise völlig an den Haaren herbeigezogen. Daran erkennt man den Blender. Solche Menschen lassen wir gekonnt auflaufen. Das Anbaugebiet Baden ist z.B. so vielfältig, dass hier eigentlich gar keine allgemeine Einordnung möglich ist.

Klugscheißerinfos:
Fällt der Begriff "Schwarzriesling" so erwähnen wir beiläufig, dass es sich dabei um gar keinen Riesling, sondern um einen "Pinot Meunier" bürgerlich: "Müllerrebe" handelt.
Barriqueausbau: Weine, die im Holzfass ausgebaut werden kommen immer mehr in Mode. Sie bekommen meist keine Prädikate etc. da sie nicht mehr sortentypisch, gebietstypisch usw. schmecken.
Rioja ist ein spanisches Anbaugebiet, keine Rebsorte.
Q.b.A bedeutet "Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete", Analog zu ausländischen Qualitätsstufen (z.B. D.O.C.). Q.b.A ist kein Prädikat!

Fassen Sie Weingläser immer am Stiel an. Nichts ist peinlicher, als Fettfinger am Kelch. Wein duftet, schmeckt und sieht nett aus, das Gehör stimulieren wir durch das Anstoßen. So werden unserer Ohren mit einem glockenhellen "Ping" auf den Genuß eingestimmt.

Proletenfalle:
Packt man das Glas am Kelch ertönt bei der Kollision der Gläser nur ein plumpes "Pock". Gläser mit kleinem Kelch sind für Weißwein, die mit großem Kelch für Rotwein. Über die Glasqualität kann man genausoviel debattieren wie über die des Weines. Bleikristall ist übrigens pfui, ebenso gefärbtes oder aufwendig geschliffenes Glas, weil die Weinfarbe dann nicht mehr begutachtet werden kann. Falls man Ihnen ein typisches regionales Glas, z.B. einen Römer reicht, loben sie den erfrischend folkloristischen Ansatz. Das zeigt, dass Sie wissen, dass so ein Glas Unfug ist, aber den Wirt nicht beleidigen wollen. Solche Gläser nimmt man nur um sich schnell und unkomplizert die Lichter auszuschießen.

Eine Sektschale weisen wir pikiert zurück, nur im hohen Sektglas kann man die Perlage in ihrer vollen Schönheit bewundern. Man ist ja Ästhet.

Sollten Sie in die Lage kommen den Wein ordern zu müssen befolgen Sie die Faustregel: Helles Fleisch: Riesling, dunkles Fleisch: Bordeaux.
Die Chance damit daneben zuliegen geht gegen 0. Auf jeden Fall wird niemand Einspruch erheben, da er oder sie sonst in Erklärungsnotstand gerät.

Riesling ist die Perle des deutschen Weines, er hat eine angenehme Farbe, eine vielschichtiges Aroma, feinnervige Säure, außerdem muß man danach nicht so furzen. Bei Riesling-Bestellung erwähnen Sie: "Den ewigen "Pinot Grigio" ("Chardonnay" falls ihr Gegenüber aus Italien kommt) kann man ja langsam nicht mehr sehen." Vorsicht: Grauburgunder und Ruländer sind dasselbe wie "Pinot Grigio"!

Bei Bordeaux-Bestellungen: "Die "Rioja"- ("Barolo" falls Sie zu einem Spanier sprechen) Euphorie legt sich ja zum Glück langsam wieder."

Nie einen "halbtrockenen" Wein bestellen, das ist genauso peinlich wie "rosé", außer sie wollen betont Liberalität gegenüber gewissen Sexualgewohnheiten signalisieren. Zum Essen trinkt man trockenen Wein, zum Dessert süßen, Punkt. Sollte Ihr Mitesser aus der Provence kommen ist allerdings Vorsicht mit Ressentiments gegenüber Rosé-Weinen angebracht.

Rotling oder Schillerwein (Württemberg) ist eine andere Bezeichnung für einen aus Weiß- und Rotwein gemischten "Rosé".

Bestellen Sie immer einen möglichst alten Wein wenn es um Rotwein geht (außer sie müssen zahlen). Bestellen Sie einen 2-4 Jahre alten Wein wenn es sich um Weißwein handelt.

Bestellen Sie nie offene Weine, immer eine ganze Flasche. Wenn das überhaupt geht, viele kleinere Weinstuben bekommen ihren Rebensaft nämlich in Schläuchen (s.u.) geliefert (das ist aber kein unbedingter Qualitätsnachteil). Das Risiko bei offenen Weinen ist, dass man schon mal einen spanischen Leberkiller als lecker Rioja vorgesetzt bekommt.

Schnüffeln sie am Kork wenn sie wollen, aber seien sie sich der Tatsache bewußt, dass er in den meisten Fällen nach Kork riecht (so isser halt). Nur wenn er muffelig riecht ist Vorsicht geboten, ein erster vorsichtiger Schluck bringt dann den Beweis.

Das Dekantieren des Weines, also das Umfüllen in eine Karaffe dient haupsächlich dazu, das Depot, also abgelagerte Feststoffe vom Wein zu trennen. Dazu legt man die Flasche vor dem Dekantieren einige Zeit schräg, das Depot kann sich dann am Flaschenboden sammeln. Beim Umgießen, Profis stellen dabei eine Kerze unter den Flaschenhals, stoppt man, bevor die Brocken in die Karaffe fließen.

Weißweine dekantiert man im allgemeinen nicht, da sie weniger Feststoffe enthalten und Oxidation durch zuviel Sauerstoff den Geschmack eher beeinträchtigt (in Richtung Sherry). Bei Rotweinen ist eine leichte Oxidation dem Geschmack oft zuträglich, bei alten Flaschen (nicht Loddar M.) hat der Wein oft während der Lagerung schon durch den Korken geatmet. Hier kann der "Sauerstoffschock" dem Wein den Rest geben.

Lesen Sie die Jahreszahl auf dem Etikett. Das ist nicht das Verfallsdatum, sondern das Jahr der Ernte (der Kenner sagt allerdings "Lese").

Junger Bordeaux hat in etwa den Tanningehalt von Gerberlohe. Sollte also jemand einen Wein aus dem Bordelais ordern, der weniger als 5 Jahre alt ist, bestellen Sie lieber ein Pils. Oder beklagen Sie lautstark den hohen Gehalt an Polyphenolen.

Die deutschen Weinetikette sind sehr undurchsichtig. Keine Sau weiß, ob sich hinter einem "Oppenheimer Nierentritt" eine Perle der .nologie oder ein hinterhältiger Angriff auf unsere Gesundheit verbirgt. Die Lage des Weines sagt nichts über seine Qualität aus. Ob fürstliche Domäne im Reingau oder Bahndamm Nordseite aus Friesland, lassen sie sich nicht blenden, wenn andere mit Lagenbezeichnungen um sich werfen.

Was zählt sind bei deutschen Weinen die Prädikate, unter Q.b.A. geht nix. O.b.A ist selbst allerdings noch kein Prädikat, sondern sagt nur aus, dass der Erzeuger nachweisen kann, wo seine Trauben gewachsen sind. Bei Tafel- und Landweinen ist originelle Artenvielfalt in einer Flasche durchaus keine Seltenheit.

Wenn sie einmal aus einem "Bocksbeutel" einschenken müssen: Etikett nach oben, vier Finger unter die Flasche, Daumen auf die Flasche. Wein im Bocksbeutel ist übrigens mindestens Qualitätswein (Q.b.A).

Es ist wissenschaftlich verbürgt, dass die wichtigsten Geschmacksinformationen über das Auge transportiert werden. Was auf dem Etikett steht wird geglaubt. Wenn da "trocken" steht, ist der Wein trocken, auch wenn sich Zuckerkristalle im Glas absetzen. Praktisch jeder Wien geht als "halbtrocken" durch, außer er greift schon das Glas an.

Wir bestellen grundsätzlich Bordeauxweine, die sind normalerweise am Wort "Chateau" auf dem Etikett zu erkennen. Im Bordelais herrscht ein relativ strenges Klassifizierungssystem, das dem Kenner ermöglicht den Wein genau einzuordnen und dem Weinbauern die Freiheit läßt zu panschen was das Zeug hält. Französische Weine werden in der Regel mit Zucker versetzt, dass es nur so kracht. Man nennt das dort allerdings "chaptalisieren". Bei uns ist das Chaptalisieren nur bei Weinen ohne Prädikat erlaubt. In eine Spätlese darf also kein Zucker rein. Ein echter Bordeaux besteht aus ca. 3 verschiedenen Weinen, die assembliert werden. Dadurch befinden sich soviele Aromen in dem Stoff, dass man mit seiner Geschmackseinschätzung nie völlig daneben liegen kann. Gut klingen immer: Cassis (schwarze Johannisbeere), Zimt, Vanille, Zigarrenkistenholz, Kaffeebohne; aber so ziemlich jede Geschmacksrichtung die Sie auch von der Eisbude kennen, können sie nennen (Vorsicht mit "Straciatella").

Wenn sie nicht die Flasche gesehen haben beschweren sie sich nicht über den korkigen Geschmack, der Wein könnte aus einem Schlauch abgefüllt sein (PVC-Behälter mit integriertem Zapfhahn) und nichts ist peinlicher wenn der Kellner den Besserwisser korrigiert. (schon selbst miterlebt, ehrlich).

Sprechen sie nie vom Geschmack, sondern vom Bukett oder von den Aromen. Es gibt primäre, sekundäre, tertiäre Aromen. Am schönsten sind die postfermentativen Aromen, also diejenigen, die durch die Lagerung entstehen. Obacht: Wenn Sie sich darauf beziehen sollte nicht 2003 auf dem Etikett stehen.

Weißwein sollte kalt, Rotwein bei Zimmertemperatur getrunken werden. Zimmertemperatur bedeutet nicht 22° Celsius, sondern 18° C. Früher waren die Menschen nicht so verweichlicht wie wir heute. Mein Kühlungstipp: Rotwein 1/4h vor den servieren in den Kühlschrank legen, Weißwein 1/4h vor dem servieren herausholen.

HTH

Ciao/HaJo