Date: 12 Oct 2002 19:14:52 GMT
From: soundjunkie <soundjunkie@firemail.de>
Newsgroups: de.comp.audio

Subject: Offener Brief an Universal-Kopierschutz.de
Offener Brief an info@universal-kopierschutz.de

Liebe Kopierschützer der Universal,

die Ihr hier von mir stellvertretend für andere Hüter des Rechts am digitalen Klangeigentum angeschrieben werdet: Ihr habt sicherlich nicht erwartet, dass diese Mailadresse für Begeisterungsausbrüche genutzt wird. Warum soll man es auch als Fortschritt empfinden, seine Lieblingsband nicht mehr ohne Qualitätseinbußen im Player seiner Wahl hören zu können?

Das geschieht selbstverständlich in der edlen Absicht, die Interessen Eurer Künstler zu schützen - eine Tradition der Musikindustrie, für die besonders die Majors geschätzt werden. Ich bin geradezu dankbar dafuer, dass der Universal-Kopierschutz überhaupt das Abspielen des kostspieligen Silberlings am Computer erlaubt.

Ich weiß, Ihr geht durch harte Zeiten. Umsätze brechen weg, der Mutterkonzern taumelt. Die Labels werden neu strukturiert und manche haben den Umzug nach Berlin noch nicht verkraftet. Da tröstet auch der wunderschöne Blick über die Spree nicht, den Ihr aus Eurem schicken Wasserpalast genießen könnt. Gestattet mir trotzdem, den Stolz auf Euer hauptstädtisches Firmendomizil mit Euch zu teilen - schließlich habe ich jahrelang etwas dazugegeben.

Um mit Heine zu sprechen: Ich fürchte, ich gleite aus dem süßen Gewässer des Lobes unversehens ins bittere Meer des Tadels. Verbale Entgleisungen bitte ich a priori zu entschuldigen - Musik ist nun mal ein emotionsgeladene Angelegenheit.

Mein Vorwurf lautet, dass das Lamento um CD-Brenner und Internettauschbörsen lediglich ein Vorwand ist, um schlussendlich das Recht auf die private Kopie grundsätzlich auszuhebeln. "Pay-per-listen" - das ist Euer Wunschtraum: Jeder Abspielvorgang kostet ein paar Microcent und nach vier Wochen muss die Basislizenz erneuert werden. Die Kundenabspeisung funktioniert vertriebskostensenkend über das Internet, während der Preis pro Song sich nur unwesentlich vom anteiligen Verkaufspreis eines Longplayers unterscheidet. Die tauben Tekknokids können den Frequenzgang verlustbehafteter Kompressionsverfahren sowieso nicht von der ohnehin eingeschränkten Samplingqualität einer CD unterscheiden. Die Krönung des Ganzen wäre dann eine Copyright Taskforce à la Zollfahndung, die spontan Festplatten und mobile Abspielgeräte nach Tracks ohne Wasserzeichen durchkämmen darf. Soweit die Unterstellung.

In Wirklichkeit ist die Krise der Musikindustrie hausgemacht und hat mit Hobbybrennern und Netztauschern wenig zu tun. Um es kurz zu machen: Ihr produziert seit Jahren zuviel Schrott mit immer kürzerer Halbwertszeit zu steigenden Kosten. Massengeschmack statt Innovation, Hochglanz statt Inhalt, Banalität statt Werte. Die Abspielgehilfen aus Funk und Fernsehen haben ihre Programme stromlinienförmig nach Euren Vorgaben angepasst und werden mit Interviewreisen, Freiexemplaren und Backstage-Pässen bei Laune gehalten. Eine inflationäre Schar von Musikmagazinen rezensiert noch den letzten Schund, weil die betreffende Company Anzeigen oder gar das Cover bezahlt hat.

Gleichzeitig werden von Euren mundfertigen, aber von Fachkenntnissen gänzlich unbelasteten Wichtigtuern Unsummen bei Produktion und Promotion versenkt. Da werden Tagespauschalen an Tonstudios gezahlt, die längst nicht mehr marktüblich sind. Es werden sündhaft teure Videos gedreht, die keine Station zeigen will. Mit der Gießkanne werden Promopäckchen übers Land verspritzt; begleitet von kryptisch-feuilletonistischen Bandinfos, die offensichtlich von Schülerzeitungsredakteuren morgens nach dem Abi-Ball verfasst wurden. Auf großkotzig gebuchten Tourneen spielen enttäuschte Künstler vor leeren Hallen, verdienen sich gierige Catering-Unternehmen eine goldene Nase, rollen Nightliner zu Mondpreisen und tummeln sich zahllose Mitesser mit glänzenden VIP-Kärtchen am Halsband.

Meist lässt sich Gott sei Dank der komplette Kostenblock vom Einkommen der Künstler abziehen. Was aber, wenn man den Hungerleidern nichts mehr abziehen kann, weil der ganze Zirkus floppt? Nur drei Prozent aller Acts verdienen fast hundert Prozent des Firmengewinns, wie wir wissen. Ist das ein Marktgesetz oder ein Ausdruck von Unfähigkeit?

Nun also liegt Eure Antwort auf den ganzen Schlamassel auf meinem Tisch und ich gebe zu, ich bin nicht amüsiert. Meine zentrale Musikstation ist mein Computer. Wozu einen separaten CD-Spieler kaufen, wenn der Rechner das Laufwerk gleich mitbringt? Statt nach dem genüsslichen Auspacken das volle Klangerlebniss über meine hart ersparten Edelboxen zu hören, werde ich dazu genötigt, einer unerwünschten Software Zugriffsrechte auf meinem Computer einzuräumen. Was dann ertönt, sind herunterkomprimierte Audiotracks in mp3-Qualität. Die originalen Wavefiles sind unzugänglich. Der lausig programmierte Software-Player schluckt selbst im Ruhezustand fünfmal mehr CPU-Leistung als der genügsame Windows-Standardplayer. Apple-Computer, bekanntermaßen die Lieblingsgeräte von Musikern auf der ganzen Welt, werden erst gar nicht unterstützt.

Werde ich dafür in Zukunft 17 Euro ausgeben?

Nein.

Ich fühle mich bestraft von einer Branche, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Die reformunwillig und reaktionär und deshalb in ihrer jetzigen Form rechtmäßig zum Untergang verurteilt ist. Liebe Musikfreunde in den Verwaltungsetagen der Plattenkonzerne: Falls Ihr es noch nicht bemerkt habt - das Zeitalter der Dampfmaschine ist angebrochen. Segelschiffe und Pferdefuhrwerke werden bald nur noch von Nostalgikern benutzt. Sogar das gemeine Volk kann sich eine Fahrt mit der Eisenbahn leisten. Will heißen: Segelflicker und Kutscher werden nicht mehr gebraucht.

Hätte es mp3-Files und CD-Brenner nicht gegeben, hätte ich meine achtjährige Musikkonsum-Abstinenz nicht beendet. Weil formatierte Radioprogramme längst nicht mehr als Informationsquelle für neue Musik dienen, haben Audiofiles und Kopien von Freunden meine Ohren wieder für zeitgenössische Popmusik geöffnet. In den letzten vier Jahren habe ich so viele Original-CDs angeschafft wie im ganzen vorhergehenden Lebensabschnitt zusammen. Das war harte Arbeit. Meine Faustregel lautet: Eine Scheibe muss mindestens 12 Tracks haben, von denen die Hälfte mehr als zweimal gehört werden kann. Wenn man dieser Regel folgt, kann man nur eine von zehn CDs kaufen.

Wenn ich eine CD kaufe, stimme ich ab: Ich will meine Favoriten in den Charts sehen, damit andere auf sie aufmerksam werden. Aus dem gleichen Grund möchte ich Freunden unkompliziert eine Kopie brennen oder meiner Stammkneipe eine Compilation basteln dürfen. Wenn sich dann nur ein Zuhörer das Original oder ein Konzertticket kauft, hat sich die Mühe gelohnt. Auf die Art und Weise habe ich schon mehr Leute angefixt als jede Streifenbandanzeige im Stadtmagazin. Ich bin ein Ein-Mann-Streetteam im Auftrag des guten Geschmacks. Naja.

Was soll ich in Zukunft tun? Einen CD-Brenner und ein Crackprogramm beschaffen, das den Kopierschutz ignoriert? Dateien grundsätzlich aus dem Netz ziehen? Den Minidisk-Recorder an den Kopfhörerausgang im Plattenladen anschließen? Neue Scheiben nicht mehr kaufen, alte dafür kopieren? Das Radioprogramm auf Festplatte mitschneiden lassen und hinterher sortieren? Was auch immer ich davon wähle, Plattenfirmen und Künstler werden mich als zahlenden Kunden verlieren.

Eine Armee schießt in die falsche Richtung, weil der Generalstab keinen Schlachtplan hat - hit by friendly fire. So werden aus Kollateralschäden ein Totalschaden. Die gewerbsmäßigen Piraten in
Russland oder Asien, die es immer gegeben hat, werdet Ihr damit nicht beeindrucken. Aber Ihr werdet dafür sorgen, dass Musik auf Schulhöfen und in Kinderzimmern noch weniger zum Thema wird als ohnehin.

Eure Umsatzeinbrueche sind Zeitzeichen. Während es Euch noch vor kurzem prächtig ging, spürt Ihr nun die Wirkung von Rezession und Verunsicherung. Zusätzlich konkurrieren Unterhaltungsformen wie Computerspiele und Spaß- /Extremsportarten mit dem Musikhören. Funktelefone, Tattoos und Markenklamotten kosten Geld. Bildung und Kultur verlottern pisamäßig, die Aufmerksamkeitsspanne der Kids hat sich dramatisch verkürzt. Drei Jahre Gitarre lernen? No way. Die Musikindustrie hat es vorgemacht: Sampling und Recycling funktionieren prächtig, wozu für eigene Ideen schwitzen? Wer als Erwachsener die Charts beobachtet, fühlt sich an seine Kindheit erinnert. Coverversions von Elvis, den Bee Gees und Joan Jett lösen einander ab; alte Helden wie Grönemeyer retten die EMI vorm Bankrott, Stones und U2 spielen Rekordsummen ein, ein zipfelbärtiger Peter Gabriel spielt altersmilde lächelnd Jungspunde an die Boxenwand. Der Gipfel der Altstoffverwertung ist das aktuelle Cover vom Lagerfeuerheuler "House Of The Rising Sun".

Eine Industrie mit Zukunft? Schrumpft in Würde.

Soundjunkie

P.S. Ihr werdet mir nachsehen, dass ich meinen kleinen Aufsatz in einschlägigen Internetforen veröffentliche. Auch ich bin nicht frei von Eitelkeit und halte öffentliche Aufmerksamkeit für den angemessenen Lohn meiner aufgewendeten Zeit.